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MFK-Info 01/1999
 © 1999 by MFK-Info

Dankenswerter Weise hat uns Elke Goroncy für das MFK-Info einen interessanten Erfahrungsbericht über ein NIK-Seminar mit Yvonne Dolan zur Verfügung gestellt:
  

  
Der lösungsorientierte Ansatz und Ericksonsche Hypnotherapie bei sexuellem Mißbrauch und Gewalterfahrung
  
Verfasserin: Elke Goroncy
   

     
Yvonne Dolan, eine Kurzzeit- und Hypnotherapeutin aus Colorado, leitete vom 18. - 20. Mai 1998 beim Norddeutschen Institut für Kurzzeittherapie, Bremen, ein sehr praxisorientiertes Kompaktseminar. Meine Teilnahme war mit großen Erwartungen verbunden, da ich durch meine Beratungstätigkeit im Sozialpsychiatrischen Dienst Planegg Frauen kenne, die in der Vergangenheit seelisch, körperlich oder sexuell missbraucht worden sind und heute unter Depressionen, multiplen Ängsten oder Essstörungen leiden.
  
Yvonne therapiert seit über 20 Jahren Menschen mit Missbrauchs- und Gewalterfahrungen, u.a. auch "Straßenkinder" und Prostituierte in beschützten Heimen. Sie zeigte uns zunächst die Grundvoraussetzung auf, betroffene Klienten/innen auf dem Weg vom Opfer, welches Scham- und Schuldgefühle hat, zur Überlebenden zu begleiten:
     
Welche Ressourcen, welche Personen haben geholfen, ein Trauma (Missbrauch, Folter, Überfall u.ä.) zu überleben? Die meisten Betroffenen wollen sich das Trauma "von der Seele reden". Um sich zu erholen, muss ihre Gegenwart genauso lebendig werden wie die Vergangenheit:
"Was tun Sie, wenn Sie nicht an das Trauma denken? Welches sind die Dinge (Aktivitäten, Talente, Interessen, Beziehungen, Rituale) in Ihrem gegenwärtigen Leben, die Sie erhalten möchten? Welche Hoffnungen und Zukunftsträume haben Sie?"
Diese Liste kann jede/r als "Notfallkoffer" bei sich tragen, auch nachts, wenn Alpträume oder Flashbacks (sich immer wiederholende Sequenzen aus dem Trauma) auftauchen. Er dient der Musterunterbrechung des Traumas. Yvonne führt diesen therapeutischen Schritt gern als "Rainy Day Letter" an die eigene Person ein.
  
Yvonne hat zwei lösungsorientierte Lieblingsfragen, die uns durch das Seminar begleiteten:

  • Was ist das erste Zeichen, der erste, kleine Schritt, dass das Trauma weniger Einfluss auf Ihr Leben hat?

  • Worüber werden Sie nachdenken, anstatt an die Vergangenheit zu denken?

Wenn eine Klientin mit "Ich weiß nicht" antwortet, könnten wir fragen:
"Was würde Ihr Partner (Ihr Kind, Ihre Freundin) als das 1. Zeichen benennen, dass die Dinge sich bessern? Wer aus Ihrem Leben wäre am wenigsten überrascht, wenn sich etwas ändert?" Es ist wichtig, dass die Überlebenden mit dem Teil des Lebens wieder in Kontakt kommen, der größer ist, d.h. die Gegenwart wird lebendiger gemacht. Milton Erickson, auf den sich Yvonne öfters bezieht, nennt dies "Verwässern" des Traumas durch Hinzufügung nichttraumatischer Inhalte, bis das Trauma nur noch ein kleiner Teil des Ganzen ist.
     
In der "Time Line", die Vergangenheit und Gegenwart verknüpft, fordert Yvonne ihre Klienten/innen auf, angenehme und unangenehme Ereignisse ihres Lebens, mit genauer Zeitangabe, zuzüglich damaliger Gefühle, grafisch zu fixieren. Die Visualisierung schafft Zugang zu unbewussten Ressourcen, die verwirklicht werden könnten:
     "Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie an die damaligen Gefühle denken?"
  
Brachliegende Stärken zur positiven Zukunftsorientierung aktiviert Yvonne durch die Fragestellung:
"Stellen Sie sich vor, Sie sind eine alte, weise, gesunde und immer noch gutaussehende Frau geworden. Welchen Rat würde diese Ihnen für die Gegenwart geben? Was sollen Sie in Erinnerung behalten, was hätten Sie anders machen sollen? Woran - hoffen Sie - werden sich Ihre Kinder erinnern, wenn sie in Ihrem jetzigen Alter sind?"
     
Um Träume, Hoffnungen und "verrückte Ideen" zuzulassen, ist es sehr effektiv, einer Freundin/ einem Freund einen "Brief aus der Zukunft" zu schreiben. Zu meinem Erstaunen habe ich in der Übung viele Ereignisse im imaginären Jahr 2010 als real beschrieben, die heute, 1998, noch Zukunftsträume sind.
     
Viele Menschen, die missbraucht worden sind, haben Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren. Ihre extreme Wachheit der Sinne, die ich als Ressource betrachte, nutzt Yvonne, indem sie die Klientin ein inneres Bild für Zufriedenheit und Sicherheit assoziieren lässt:
- Stellen Sie sich einen Ort vor, an dem Sie sich entspannen können.
- Beschreiben Sie im Detail Ihre visuellen, akustischen und kinästhetischen Wahrnehmungen, bezogen auf den Ort.
- Genießen Sie Ihren momentanen mentalen Zustand.
- Wählen Sie ein "Souvenir" des inneren Bildes aus.
- Malen oder schreiben Sie dieses Symbol auf ein Stück Papier, welches Sie später an einem leicht erreichbaren Ort aufbewahren können.
  
Besonders beeindruckend sind Yvonnes "Healing Letters" in bezug auf sexuellen Missbrauch, die, wie auch die anderen therapeutischen Briefe, nicht an den Adressaten zu schicken sind::
- Den 1. Brief schreibt die Missbrauchte an den Missbraucher, um sich von nicht verarbeiteten Gefühlen zu befreien.
- 2. Brief: Der Missbraucher reagiert in aggressiver Form.
- 3. Brief: Die Missbrauchte schreibt, welchen Brief sie sich von ihm gewünscht hätte. (Der 2. und 3. Brief muss in einer Sitzung geschrieben werden.)
- 4. Brief: Die Missbrauchte antwortet auf den 3. Brief.
     
Bei von sexuellem Missbrauch Betroffenen treten in späteren Partnerschaften oft Blockaden auf, die durch einen konkreten Sinnesreiz, z.B. eine bestimmte Berührung, entstehen:
- Um welchen Auslöser handelt es sich wann?
- Wann und wo gibt es Ausnahmen?
- Was müsste deutlich passieren, damit die Klientin klar unterscheiden kann, daß es sich um ihren Partner und nicht um den Missbraucher handelt?
 
Yvonnes "Rainy Day Letter for Couples" enthält u.a. folgende Fragestellungen:
"Was mögen Sie an Ihrer Partnerschaft am meisten? Welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihrem Partner besonders? Welche gemeinsamen Aktivitäten möchten Sie am ehesten beibehalten?"
     
Die häufigste Reaktion auf Missbrauch sind depressive Erkrankungen. Wenn eine Klientin sehr verzweifelt ist, fragt Yvonne u.a.:
"Was können Sie in den nächsten 24 Stunden tun? Was ist in den letzten 24 Stunden "Nicht-zu-Schreckliches" passiert?"
 
Bei selbstmordgefährdeten Menschen kann Skalierung nützlich sein:
     Y.: "Was ist die positive Intention, sich das Leben zu nehmen?"
     Kl.: "Erleichterung."
     Y.: "Wieviel Prozent von Ihnen sagen das?"
     Kl.: "80 %."
Daraufhin fragt Yvonne die restlichen 20 % im Detail ab, Sie hat die Gabe, sehr einfühlsam und unbedarft zu fragen, besonders bei Kindern und Jugendlichen, um möglichst viel zu erfahren.
     Abschließend beschreibt uns Yvonne den "Feuermelder". Bei einer Familie, in der körperliche Gewalt passierte, führte sie nach Therapieende einen Stein ein. Dieser liegt an einem bestimmten Ort der Wohnung. Wenn ein Familienmitglied an der familiären Sicherheit zweifelt, verrückt es ihn anonym. Daraufhin muß ein neuer Termin bei Yvonne vereinbart werden.
 
 
Es spricht für Yvonnes Größe, dass sie, bevor wir uns bei ihr bedanken konnten, sich bei uns als Gruppe für die Vielfalt an Wissen bedankte. Gerade aufgrund der zahlreichen Übungen mit Selbsterfahrungsanteilen habe ich viel für meine zukünftige Beratungstätigkeit gelernt. Ich denke, ich kann meinen Klienten/innen hoffnungsvoller und gerüsteter entgegengehen. Ich bin dankbar, dass ich durch Yvonne Dolan und den Kollegen/innen aus ganz Deutschland über den "bayerischen Tellerrand" blicken durfte.

     Literatur: 
     Dolan Y.: "One Small Step"
     Dolan Y.: "Resolving Sexual Abuse".
    
  
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